Der britische Postangestellte Eric hat sich verfahren, im Kreisverkehr und im Leben. Seinen jugendlichen Stiefsöhne Ryan (Gerard Kearns) und Jess (Stefan Gumbs) gegenüber, hat er kaum noch Autorität. Die Ehe mit seiner großen Liebe Lily (Stephanie Bishop) ist gescheitert. Selbst seine Arbeitskollegen können den depressiven Einzelgänger nicht aufmuntern. Dass gelingt erst dem ehemaligen Fußballstar Eric Cantona. Weil Cantona als Torheld ausgedient hat und in “Elizabeth” und “Looking for Eric” passabel spielt, übersieht man leicht, was bei jedem anderen als Loach als kommerzielle Kalkulation gewertet würde. Eric erscheint seinem Namensvetter Eric Bishop als Seelencoach. Die Taktiken des Fussballers wirken im Leben des Postangestellten Eric so erfolgreich wie auf dem Spielfeld. “Wir rauchen zu viel von dem Zeug. Das muss aufhören.“, räsoniert Eric, als er kiffend mit Cantona zusammen sitzt. Leider folgt Loach dem Rat nicht. Bei der drogenumnebelten Erscheinung seines Fußballidols bleibt es für Eric nicht. “Looking for Eric” wird zu “Looking at Eric (Cantona)“. Die Tragikkomödie erhebt den Torschützen zum Heilsbringer für den plötzlich gesundheitsbewussten, familienorientierten Eric. Mit Unterstützung seines ratgeberbewanderten Kollegen Meatballs (John Henshaw) nimmt Bishop es gar mit Kriminellen auf. Wer will schon einen Postboten zum Feind? Da ist die Drohung keine leere Phrase: “Ich weiß, wo du wohnst!”
Fast handelt “Looking for Eric” sich durch derartige Fehlschüsse die rote Karte ein. Dank der überzeugenden Darsteller und dem authentischen Handlungsumfeld hält sich das Drama dennoch im Mittelfeld. In “Looking for Eric” beweist Loach sich aufs neue als einfühlsamer Chronist des Arbeitermilieus. Ohne herablassendes Mitleid zeigen seine sachlichen Aufnahmen die bescheidenen Verhältnisse der Filmcharaktere. Statt sich auf die vielschichtigen Figuren, die mit Ausnahme des leidlichen Cantona bis in kleine Nebenrollen überzeugend besetzt sind, zu konzentrieren, versteigt “Looking for Eric” sich in eine unglaubwürdige Erweckungsmär. Man muss nicht analytisch begabt sein, um zu erkennen, dass Eric Cantona die Verkörperung von Eric Bishops unterdrückter Charakterseite ist. Nicht zufällig tragen beide den gleichen Vornamen. In einer doppeldeutigen Szene enthüllt Cantona unter einer karikierenden Gummimaske mit dem eigenen Konterfei sein wirkliches Gesicht. Der engagierte, emotional beteiligte Mensch, zu dem Bishop dank des Fußballers wächst, steckte von Anfang an in ihm. “Looking for Eric” bezieht sich auf die Selbstsuche des Hauptcharakters. Dass nur zu sich selbst findet, wer sich auf die Suche macht, ist als abschließende Erkenntnis genauso unbefriedigend, wie Loachs `Suchet und ihr werdet fündig’ – Versprechen.
Es ist keine Überraschung, dass es doch noch gut wird mit der verlorenen Liebe Lily, den ungehobelten Stiefsöhnen und der vernachlässigten Freundesclique. Paul Lavertys Drehbuch wird mit seiner übermäßigen Gutgläubigkeit Loachs bitter-komischer Milieustudie, als die “Looking for Eric” so wunderbar ansetzt, nicht gerecht. Gab es je einen Helden-Epiphanie-Film, der nicht gut ausging? Ob Elvis, Engel oder Verwandte, erscheinen Geister mit Läuterungsabsichten, stehen ein glücklicher Ausgang und reichlich Kitsch auf dem Programm. So schrieb es schon Loachs Landsmann Charles Dickens vor. Bis der einem Schriftsteller mit Schreibblockade im Kino erscheinen muss, ist es vermutlich nur eine Frage der Zeit. Vielleicht hilft Loach vor einem erneuten Beinahe-Fehlschuss wie „Looking for Eric“ der Geist Tony Richardsons aus.
Titel: Looking for Eric
England 2009
Genre: Tragikkomödie
Start: 5. November
Regie: Ken Loach
Drehbuch: Paul Laverty
Darsteller: Steve Evets, Eric Cantona, Stephanie Bishop, Gerard Kearns
Verleih: Delphi Filmverleih
www.looking-for-eric.de